„Niemand hat das Recht von uns zu verlangen, dass wir vergessen“

Vor 75 Jahren wird die Vertreibung der Ungarndeutschen beschlossen

Landesgedenkstätte zur Erinnerung an die Vertreibung der Ungarndeutschen in Elek

Was sich über Monate hinweg angekündigt hatte, wurde anlässlich der Sitzung der Ungarischen Übergangsregierung vom 22. Dezember 1945 in Debrecen beschlossen und mit der Regierungsverordnung Nr. 12.330/1945 M.E. vom 29. Dezember 1945 im ungarischen Staatsanzeiger unter Nr. 211 veröffentlicht. Die Rede ist von der Vertreibung der Ungarndeutschen.

Drei Wochen später – am 19. Januar 1946 – begann dann in der Budapest nächst gelegenen 10.000 Einwohner zählenden Gemeinde Budaörs offiziell das wohl einschneidendste Ereignis in der Geschichte der Ungarndeutschen.

Die Ereignisse in Budaörs verdienen in jeder Beziehung die Bezeichnung „Vertreibung“, denn die zuerst ins Auge gefassten Familien wurden in einer Nacht- und Nebelaktion durch Klopfen und Poltern der Polizei an den Fenstern und Türen buchstäblich aus ihren Betten geholt.

Mit dem Allernötigsten in Bündeln wurden sie dann zum Gemeindehaus gejagt und von dort bei Tagesanbruch zum Bahnhof getrieben und in die bereitstehenden Viehwaggons gepfercht. Noch am gleichen Tag rollte der erste Transport in Richtung Westen ab.

In der Zeit vom 19. Januar 1946 bis Dezember 1946 wurden etwa 170.000 Ungarndeutsche nach Deutschland in die amerikanische Besatzungszone vertrieben. Im Zeitraum vom August 1947 bis Juni 1948 sollten nochmals knapp 50.000 Ungarndeutsche folgen, die in die sowjetische Besatzungszone abgeschoben wurden.

Etwa 200.000 Ungarndeutsche, von denen etwa 60.000 für Jahre zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert worden waren, blieben zurück in Ungarn.

Die veröffentlichte Vertreibungsverordnung vom 29.12.1945

Dabei geben diese Zahlen nur ein gefühlloses statistisches Bild der Tragödie wider. Sie sagen nichts über das Leid, die Verzweiflung, die Not der Unglücklichen, aus ihren Häusern gejagt, ihrer Habe beraubt und erniedrigt.

Die Entrechtung und Vertreibung traf diese Menschen bis an die Wurzel ihrer Existenz. Ihre Familien, ihre Gemeinden, ihre Siedlungsgebiete und ihre Organisationen wurden aufgelöst, ihr Vermögen geraubt, ihre Einrichtungen zerschlagen. Rechtlos und diskriminiert blickten sie in eine ungewisse Zukunft.

Zu all diesen Entbehrungen und Schikanen kam noch die Wochen und Monate währende Ungewissheit über den Umfang der Vertreibung: wer muss gehen, wer darf bleiben?

Wer zählt die Tränen, wer misst den Kummer, wer vermag das Leid, den Gram und den Schmerz mit gebührenden Worten zu schildern, der die Herzen jener Frauen und Männern erfüllte, als sie sich von dem loslösen mussten, was sie sich Jahre, vielleicht Jahrzehnte lang durch viel Mühe und harte Arbeit erwirtschaftet hatten, und das nicht zuletzt deshalb ihre Heimat war.

Als Enkel nach Baden-Württemberg vertriebener Ungarndeutschen weiß ich nur aus Erzählungen, wie mühevoll und entbehrungsreich der Neubeginn meiner Familie und meiner Landsleute in der Fremde, in einem zerstörten Deutschland war.

Umso wichtiger ist es für mich, dass wir die Erinnerung wachhalten und vor dem Vergessen bewahren – und auch künftig von unserem Schicksal erzählen werden.

Dass die Aussiedlung der Schwaben – so der beschönigende amtliche Sprachgebrauch – nicht – wie in Ungarn jahrzehntelang offiziell dargestellt – eine Folge der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz war, belegen die heute zugänglichen Quellen in den ehemaligen Geheimarchiven.

Abgesehen davon: in Ziffer XII des geschlossenen Potsdamer Abkommens stand, dass „die Überführung der deutschen Bevölkerungselemente geordnet und human“ gehen soll.

Ich frage mich dabei: wie können eigentlich Haus und Hof, das Dorf, ja die Heimat, in humaner Weise weggenommen werden?

Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, damals Präsident des Europäischen Parlaments, zitierte anlässlich seiner Rede zum Tag der Heimat 2007 in Berlin den Brückenbauer und Erzbischof von Oppeln Alfons Nossol, der einmal sagte: „Niemand hat das Recht von uns zu verlangen, dass wir vergessen. Der Wille zu vergeben und der Wille zu vergessen, sind nicht das Gleiche.“ Erinnerung, Vergebung und Versöhnung gehören zusammen.

Und Frau Dr. Katalin Szili, damalige ungarische Parlamentspräsidentin, sprach anlässlich der Gedenkkonferenz zum 60. Jahrestag der Vertreibung im Ungarischen Parlament: „Deshalb können die Wunden erst geheilt werden, wenn die Schrecken ausgesprochen, die Verantwortlichen namhaft gemacht, und die Opfer um Verzeihung gebeten werden.“

Der 75. Jahrestag der Vertreibung gibt uns einen besonderen Anlass, an diese schändlichen Ereignisse zu erinnern, die unseren Eltern und Großeltern widerfahren sind.

Der 75. Jahrestag gibt uns aber auch die Möglichkeit, uns für Verständigung, gegenseitige Akzeptanz und Toleranz der Menschen untereinander einzusetzen – über Grenzen hinweg, in einem vereinten Europa – vom Kleinen bis zum Großen – damit unseren Kindern und Enkelkindern das Leid der Vertreibung erspart bleibt.

Joschi Ament, Bundesvorsitzender

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