Georg Richter hat seine Erinnerungen an Krieg und Gefangenschaft aufgeschrieben
„Nein, bis Corona weg ist, können wir nicht warten“, sagt Georg Richter sofort. Er ist 94 Jahre alt, und es ist ihm wichtig, seine Geschichte zu schildern. Jetzt hat er ein Buch herausgebracht. Es trägt den Titel „Neun Jahre lebendig tot. Kriegsgefangenschaft in Russland und Ungarn.“
Seit 67 Jahren lebt Richter in Deutschland. Und doch sagt er: „Ich werde diese Geschichte niemals los.“ Es sei eine Geschichte, aus der junge Leute etwas lernen können. Sie können sich „ein Beispiel nehmen, wie man in ausweglosen Situationen das Leben trotzdem meistern kann“. Ausweglose Situationen hat er viele erdulden müssen.
Georg Richter wurde 1926 in einer kleinen Gemeinde im Süden Ungarns geboren. 90% der Menschen dort waren deutsch. Nach dem Abitur, mit 18, wurde er als „Volksdeutscher“ eingezogen. Er wurde zur Waffen-SS zwangsrekrutiert, sonst wären seine Eltern inhaftiert worden. „Man nannte uns Freiwillige, aber freiwillig war da nichts!“ Richter musste nicht an die Front, er machte Sanitätsdienst. Nach fünf Monaten kam er in russische Gefangenschaft, und eine fast neunjährige Odyssee des Schreckens begann. Er war in mehr als 20 Lagern. Er erlebte Gefangenschaft und Todesangst, Demütigung und Misshandlung, Lügen und Verrat, Entbehrungen, Hunger und Zwangsarbeit im Steinbruch. Und er sah Freunde sterben. Wenn er davon erzählt, merkt man an den vielen Details, wie plastisch er das schreckliche Geschehen immer noch vor Augen hat.
Ende 1950 wurde er aus der russischen Kriegsgefangenschaft nach Ungarn entlassen, dort sogleich vom ungarischen Geheimdienst verhaftet und für drei weitere Jahre in das berüchtigte Schweigelager nach Tiszalök überstellt. Das Martyrium wollte und wollte nicht enden. Erst im Dezember 1953 kam er endgültig frei und wurde sofort des Landes verwiesen. Er kam nach Deutschland – seine Eltern lebten bereits als Vertriebene in Dietenheim bei Ulm. „Bitter“ seien die ersten Jahre in Deutschland gewesen, „aber dann ging es nach und nach besser.“
Aus Ungarn bekommt er heute eine Entschädigung, 20 Euro pro Monat „für neun Jahre Kriegsgefangenschaft und den Verlust des Elternhauses“, aber doch immerhin eine Art Anerkennung. Lange genug sei in Ungarn alles unter den Teppich gekehrt worden.
Was haben die Erfahrungen mit ihm gemacht? Er sei „ein versöhnlicher Mensch“, sagt Georg Richter, „dauerhafte Fehde bringt nichts. Ich reiche, nach allem, was ich erlebt habe, den Anderen die Hand. Man muss an die Zukunft denken.“ Nur vergessen, das dürfe man nicht. „Wenn man diese Geschichte nicht festhält, ist sie weg! Für immer verloren!“
Quelle: Magdi Aboul-Kheir/Südwestpresse