„Wie die Ungarndeutschen Gerlingen prägten“ (Teil 2)

Der LDU Landesverband in Baden-Württemberg beging 75-Jahr-Festakt

Nicht nur beim Häuserbau helfen sich die Ungarndeutschen tatkräftig untereinander und verändern damit das Stadtbild. Auch kulturell beeinflussen die Neubürger aus Ungarn ihre Umgebung: „Es kamen Menschen mit anderen Bräuchen und einer anderen Religion nach Gerlingen“, erzählt Herrmann. Im Ort gab es plötzlich Frauen in schwarzer Tracht und mit schwarzen Hauben. Für manchen Gerlinger wohl ein allzu befremdliches Bild.

Entsprechend schreibt der verstorbene ungarndeutsche Gerlinger Georg Tafferner in seinen Erinnerungen, dass zu Beginn der Einweisung der einzelnen Familien in die Häuser der Alteingesessenen keineswegs überall „glatt vonstattenging.“ So wehrten sich einige Hauseigentümer nachdrücklich, die Fremden in den eigenen vier Wänden aufzunehmen.

Doch Fleiß, gesellschaftliches Engagement und Integrationswillen sind groß bei den aus Ungarn vertriebenen Deutschen – und so wächst in Gerlingen die Stadtgesellschaft aus Alt- und Neubürgern, wie andererorts auch, allmählich zusammen.

Bereits 1947 gehörte mit Joseph Bader der erste Ungarndeutsche dem Gemeinderat an. Auch dass das tief pietistische Gerlingen 1955 erstmals eine katholische Kirche erhält, ist nicht unerheblich den Vertriebenen katholischer Konfession zu verdanken.

Ein starkes Bekenntnis Gerlingens zu seinen ungarndeutschen Mitbürgern ist die Übernahme der Patenschaft für die Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn 1969. Alt-Bürgermeister Albrecht Sellner betonte 2019 anlässlich der 50-Jahr-Feier der Patenschaft, dass Gerlingen erst in der Folge dieses Beschlusses „Zentrum der Ungarndeutschen in Baden-Württemberg wurde. Weitere Wegmarken sind die Ausrichtung der ungarndeutschen Kulturtagungen ab 1970, die jährliche Veranstaltung des Bundesschwabenball ab 1976 und schließlich die Unterzeichnung der Partnerschaftsvereinbarung mit Tata im Mai 1987.

Und heute? Wie der Gerlinger Erich Gscheidle, Landesgeschäftsführer der LDU, betont, sei Gerlingen nach wie vor „die heimliche Hauptstadt der Ungarndeutschen in Deutschland“. Inzwischen stehe aber nicht mehr die Pflege des Brauchtums, sondern die der Kontakte nach Ungarn im Vordergrund der Arbeit des Verbandes und der Ungarndeutschen. Dass der seit 1952 bestehende Gerlinger Stadtverband der LDU wie alle anderen Vereine Nachwuchsprobleme habe, räumt Gscheidle ein. So gebe es in Gerlingen zum Beispiel keine Jugendtanzgruppe der Ungarndeutschen mehr. Doch unabhängig von Vereinsstrukturen sei bei den jungen Menschen heute eben doch wieder ein großes Interesse an den eigenen Wurzeln zu spüren. Und darauf lasse sich aufbauen.

 

(Quelle: Stuttgarter Zeitung – Text: Torsten Schöll / Bilder: Stadtarchiv Gerlingen)